Langerhanszell-Histiozytosen

Zuletzt aktualisiert: 2023-03-10

Autor(en): Steybe, T., Navarini A.

ICD11: C96.5; C96.6

Langerhans (1868)

Eosinophiles Granulom; Abt-Letterer-Siwe-Krankheit; Histiozytose X; Hand-Schüller-Christian Krankheit 

Bei den Langerhanszell-Histiozytosen handelt es sich um eine Gruppe seltener Systemerkrankungen, bei denen es zu einer abnormen klonalen Proliferation mit Infiltration unterschiedlicher Organe dendritischer Zellen (Langerhans-Zellen) kommt. Diese zeigen spezifische Eigenschaften, so finden sich die elektronenmikroskopisch nachweisbaren „Birbeck-Granula“, immunhistologisch lassen sich die Langerhanszell-Marker CD1a und CD207 nachweisen. 

Je nach Auftreten, lokaler Manifestation, Expressionsmuster und anderer Faktoren variiert das klinische Bild deutlich. Die Prognose zeigt ebenso eine breite Varianz.

Gemäss neuerer Definitionen zählen zu den Langerhanszell-Histiozytosen auch die Erankungen Erdheim-Chester-Disease (ECD) und extrakutanes juveniles Xanthogranulom (JXG). 

Die Langerhanszell-Histiozytose kann alle Altersgruppen betreffen. Die kutane Manifestation zeigt sich dabei meist bei Kindern unter 2 Jahren und betrifft häufiger Buben (60%) als Mädchen (40%). 


Die Inzidenz im Kindesalter beträgt etwa 2-9 Fälle/ 1.000.000 Einwohner pro Jahr, bei Erwachsenen beträgt sie um 1-2 Fälle/ 1.000.000 Einwohner pro Jahr.

Die erste Klassifizierung von Histiozytosen, die 1987 von der Arbeitsgruppe der Histiocyte Society (HS) veröffentlicht wurde, umfasste drei Klassifikationen: Langerhanszell- (LC), nicht-LC- und maligne Histiozytosen (MH). Gemäss neuester Standards wird die große Anzahl von Kategorien histiozytärer Erkrankungen auf der Grundlage klinischer, radiologischer, pathologischer, phänotypischer, genetischer und/oder molekularer Merkmale in fünf Kategorien zusammengefasst.
 

L-Gruppe: Langerhanszell-Histiozytosen (LCH), Erdheim-Chester-Disease (ECD); Mixed LCH/ECD- Syndrome 


C-Gruppe: Kutane non-LCH (XG Familie/ non-XG Familie), kutane non-LCH mit relvanter Systembeteiligung


R-Gruppe: Familial Rosai-Dorfman Disease (RDD), Sporadische RDD


M-Gruppe: Primäre und sekundäre maligne Histiozytosen 


H-Gruppe: Primary and secundary HLH, HLH of unknown origin 
 

Abhängig von der Manifestation und Ausprägung der Langerhanszell-Histiozytosen lässt sich eine Einteilung in die folgenden Muster erlauben: 

  1. „Single system disease“ mit Befall nur eines Organsystems (monotoper oder disseminierter kutaner- Skelett-, Lymphknoten-, pulmonaler Befall)
  2. „Multi system disease“ mit Befall multipler Organsysteme 

 

Weiterhin lassen sich je nach Expressionsmuster die klassische Langerhanszell-Histiozytose (CD1a +, Birbeck-Granula +) von der Vorläufer-Langerhanszell-Histiozytose (CD1a +, Birbeck-Granula -) unterscheiden. 


Die klassischen Langerhanszell-Histiozytosen teilen sich wiederum ein in folgende klinische Bilder;

  1. Eosinophiles Granulom (häufigstes klinisches Expressionsmuster mit 80 % aller Langerhanszell-Histiozytosen): Befall des Skelettsystems mit Befall des Schädels in 34 % aller Fälle 
  2. Abt-Letterer-Siwe-Erkrankung (kutane Manifestation, 30-40 % d. Fälle)
  3. Pulmonale Langerhanszell-Histiozytose 
  4. Hand-Schüller-Christian-Erkrankung 

 

Die Vorläuferzell-Histiozytosen teilen sich ein in: 

  1. Histiozytose der interdeterminierten Zellen 
  2. Kongenitale selbstheilende Retikulohistiozytose Hashimoto-Pritzker 

  • Ätiologisch diskutiert werden Mutationen in den RAS-RAF-MEK-ERK-Signalwegen
  • BRAFV600E Mutationen finden sich bei bis zu in 50 bis 60% Patienten
  • Etwa 10 bis 15% der Patienten haben MAP2K1-Mutationen
  • Aufgrund dieser Mutationen wird die Langerhanszell-Histiozytose als hämatologische neoplastische Erkrankung der myeloiden Linie gewertet.
  • Der klinische Schweregrad und die Verteilung der Langerhanszell-Histiozytose-Läsion(en) kann durch das zelluläre Stadium der myeloischen Differenzierung definiert werden, in dem die somatische BRAF V600E- oder eine andere aktivierende Kinasemutation auftritt und zu einer pathologischen Aktivierung der extrazellulären signalgesteuerten Kinasen (ERK) führt.
  • Weiterhin wird angenommen, dass interzelluläre Kommunikationsdefekte zwischen T-Zellen und Langerhanszellen eine ätiopathogenetische Rolle spielen.

 

Risikofaktoren:

Die pulmonale Langerhanszell-Histiozytose ist stark mit Nikotinabusus assoziiert. 


Die Ursachen für andere Formen sind unbekannt.
 

Die klinische Manifestation der Langerhanszell-Histiozytose zeigt ein breites Spektrum und kann sich je nach Organmanifestation sehr variabel zeigen.  Bei etwa der Hälfte der Patienten sind mehrere Organe befallen. Theoretisch kann jedes Organ des Körpers befallen sein.


Es werden Sonderformen unterschieden:
 

Eosinophiles Granulom

 

  • Meist handelt es sich bei den Patienten um Kinder oder junge Erwachsene unter 30 Jahren
  • 70-80 % aller Langerhanszell-Histiozytose-Fälle
  • Befall des Skelettsystems, in 30 % der Fälle Mitbeteiligung des Scalps 
  • Klinik: Manifestation durch Knochenschmerzen, Bewegungseinschränkung, Schwellung der Gelenke 


Hand-Schüller-Christian-Krankheit

 

  • Befällt meist 2–5-jährige Kinder, Jugendliche und Erwachsene mittleren Alters
  • 15–40% aller Langerhanszell-Histiozytose -Fälle 
  • Klinik: Befall der platten Knochen des Schädels, der Rippen, des Beckens und/oder die Skapula mit entsprechenden Knochenschmerzen und Bewegungseinschränkungen, Exophthalmus durch orbitalen Tumor, Strabismus, Zahnverlust durch apikale oder gingivale Infiltration, Mitbeteiligung der Hypothalamus-Hypophysen-Achse, chronische Otitis media oder Otitis externa durch Beteiligung des Mastoids und/oder der Pars petrosa des Os temporale
  • Klassische Trias: Beteiligung von platten Knochen, Proptosis und Diabetes insipidus

 

Abt-Letterer-Siwe-Krankheit: 

 

  • Akute und disseminierte Verlaufsform der Langerhanszell-Histiozytose, schwerste Form 
  • Die Patienten sind in der Regel jünger als zwei Jahre, selten sind Erwachsene betroffen
  • 10- 15 % aller Langerhanszell-Histiozytose -Fälle
  • Klinik: multiple, disseminierte, kleine, flache, gelbbraune Papeln mit einer schuppigen bis krustigen Oberfläche, teils nekrotische Veränderungen 
  • Lokalisation: Kopfhaut, Gehörgänge, Abdomen, seborrhoische Zonen Gesicht
  • Verminderte Barrierefunktion der Haut -> lokale Infektionsgefahr 
  • Zudem beschrieben: Lymphadenopathie und Hepatosplenomegalie, Leberdysfunktion mit Hypoproteinämie mit verminderter Synthese von Gerinnungsfaktoren, Anorexie, Reizbarkeit, Entwicklungsstörungen und pulmonale Manifestationen (z. B. Husten, Tachypnoe, Pneumothorax, Anämie, Neutropenie, Rückgang des Zahnfleisches mit Freilegung der Zähne
  • Thrombozytopenie gilt als ausgesprochen ungünstiges prognostisches Zeichen
  • Häufig gestellte Fehldiagnose: Misshandlung und Verwahrlosung

 

Pulmonale Langerhanszell-Histiozytose
 

  • Häufig Manifestation bei Erwachsenen im 20.-40. Lebensjahr 
  • 10% aller Langerhanszell-Histiozytose -Fälle
  • Klinik: Dyspnoe, Husten ohne Auswurf, Müdigkeit, Fieber, Gewichtsverlust und pleuritische Schmerzen, bei 10–25% der Patienten Spontanpneumothorax, etwa 15% der Patienten sind asymptomatisch
  • Zudem beschrieben: Schmerzen durch Knochenzysten, Exanthem, Polyurie aufgrund von zentralem Diabetes insipidus 

 

Erdheim Chester Disease 

 

  • Häufig Manifestation bei Erwachsenen im 50. Lebensjahr 
  • Klinik: Skelettbeteiligung in 50 % der Fälle mit Knochenschmerzen und Bewegungseinschränkungen (Röhrenknochen), Exopthalmus, Fieber, Gewichtsverlust, Xanthome der Haut
  • Zudem beschrieben: Beteiligung des ZNS mit Ataxie und Diabetes insipidus, Einschränkung der Leber- und Nierenfunktion

  • Ausführliche Anamnese 
  • Körperliche Untersuchung
  • Laborchemische Diagnostik,  Urinuntersuchung 
  • Goldstandard der Diagnosesicherung mittels Biopsie:     
    • Nachweis von Langerhanszellen im Biopsat, konventionelle Lichtmikroskopie auf dem immunhistochemischen Nachweis von CD1a Antigen und Langerin (CD207) auf der Zelloberfläche. Da der immunhistochemische Nachweis von Langerin mit dem elektronenmikroskopischen Nachweis von Birbeck Granula korreliert, kann gemäß aktueller Leitlinien auf die Elektronenmikroskopie verzichtet warden. 
  • Bilgebende Verfahren: Röntgen, CT 
  • Bronchoskopie mit bronchioalveolärer Lavage bei Vd. a. pulmonale Langerhans-Zell-Histiozytose 
  • Nach Sicherung Diagnose: 


vgl. S1-Leitlinie 025/015 „Langerhanszell-Histiozytose (LCH) im Kindesalter (3)
 

Diabetes insipidus, Wachstumsstörungen, Addison-Krise, neurologische Spätschäden wie cerebelläre Ataxie und Dysarthrie, Hepatopathie, Gelenkskontrakturen, Fehlstellungen der Gelenke, Bewegungseinschränkungen, Hörverlust

  • Lokalisierte Erkrankung (unifokale Organbeteiligung): gute Prognose
  • Multiorganerkrankung (2 oder mehr Organe) oder Multisystemerkrankung einschließlich Leber, Milz oder Knochenmark: schlechte Prognose 
  • Bis zu 50 % der Betroffenen leiden unter Spätschäden 
  • Eine mögliche Assoziation von Langerhanszell-Histiozytose und anderen Malignomen sollte bei den klinischen Verlaufskontrollen berücksichtigt werden 
     

(1) Carlos Rodriguez-Galindo, Carl E. Allen; Langerhans cell histiocytosis. Blood 2020; 135 (16): 1319–1331. doi: https://doi.org/10.1182/blood.2019000934 Titel anhand dieser DOI in Citavi-Projekt übernehmen

(2) Allen CE, Merad M, McClain KL: Langerhans-cell histiocytosis. N Engl J Med 379(9):856–868, 2018. doi: 10.1056/NEJMra1607548

(3) Su M, Gao YJ, Pan C, Chen J, Tang JY. Outcome of children with Langerhans cell histiocytosis and single-system involvement: A retrospective study at a single center in Shanghai, China. Pediatr Hematol Oncol. 2018 Oct-Nov;35(7-8):385-392. 

(4) Harms, D., Müller, KM. Histopathologische Aspekte der Langerhans-Zell-Histiozytose Mit besonderer Berücksichtigung auch der pulmonalen LCH. Pathologe 22, 175–183 (2001). https://doi.org/10.1007/s002920000440 

(5) S1-Leitlinie Langerhanzell-Histiozytose (LCH) im Kindes- und Jugendalter der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH). In: AWMF online (Stand 2015) 

(6) Haupt T, Nanduri,V.R., Calevo,M.G. & Egeler,R.M. Late effects of Langerhans cell Histiocytosis and the association of LCH with malignancy. In Histiocytic Disorders in Children an Adults. (ed. by W. S. Egeler RM). In: Press. CU, ed, 2005. 

(7) Minkov M, Grois N, McClain K, et al: Langerhans cell histiocytosis: Histocyte Society evaluation and treatment guidelines. April 2009.

(7) Haupt R, Minkov M, Astigarraga I, et al: Langerhans cell histiocytosis (LCH): guidelines for diagnosis, clinical work-up, and treatment for patients till the age of 18 years. Pediatr Blood Cancer 60(2):175–184, 2013. doi: 10.1002/pbc.24367

(8) Suh JK, Kang S, Kim H, et al: Recent advances in the understanding of the molecular pathogenesis and targeted therapy options in Langerhans cell histiocytosis. Blood Res 56(S1):S65–S69, 2021. doi: 10.5045/br.2021.2021013

(9) Emile JF, Abla O, Fraitag S, Horne A, Haroche J, Donadieu J, Requena-Caballero L, Jordan MB, Abdel-Wahab O, Allen CE, Charlotte F, Diamond EL, Egeler RM, Fischer A, Herrera JG, Henter JI, Janku F, Merad M, Picarsic J, Rodriguez-Galindo C, Rollins BJ, Tazi A, Vassallo R, Weiss LM; Histiocyte Society. Revised classification of histiocytoses and neoplasms of the macrophage-dendritic cell lineages. Blood. 2016 Jun 2;127(22):2672-81. doi: 10.1182/blood-2016-01-690636. Epub 2016 Mar 10. PMID: 26966089; PMCID: PMC5161007.